Bild eines Flugzeug Wracks in einem DschungelWas zeichnet Menschen aus, die überlebt haben?
Ich spreche nicht von Helden oder herausragenden Abenteurern, deren Fähigkeiten scheinbar übermenschlich wirken.
Ich spreche von Menschen, die vielleicht in besonderen Umständen oder Ländern leb(t)en oder vielleicht ein ungewöhnliches Hobby haben – von sogenannt normalen Menschen also.

Was also zeichnet sie aus, die Überlebenden?
Oder anders gefragt: Welche Qualitäten haben diese Menschen, die sie überleben ließen, wo andere elend zugrunde gehen würden?

Hätte ein anderer an deren Stelle ebenso überlebt?
Dies ist ein Versuch, eine Antwort darauf zu finden, oder zumindest meine Antwort darauf zu erklären.

Aron Ralston war ein Mensch mit überbordendem Selbstvertrauen. Ihm könnte man nachsagen, das er die Gefahr suchte.
Diesen Reiz und Adrenalin, Gefahr einzuschätzen und zu bezwingen und dabei seine Grenzen auszuloten. Er war leichtsinnig und arrogant der Gefahr gegenüber.
Der Unfall selbst, der ihn dann an die Canyonwand fesselte, ist jedoch nicht seine Schuld gewesen.
Es ist einfach passiert und an dieser Stelle zum gleichen Zeitpunkt jedem Anderen ebenso zugestoßen. Das Drama begann erst mit der Tatsache der Konsequenzen – das er aus Leichtsinn nämlich niemandem mitteilte, wo er sich befindet. Und die eigentliche Geschichte ist nicht der Unfallhergang, sondern was es mit ihm gemacht hat und wie er, knapp vor dem aufgeben, sich noch einmal aufbäumte, um sich zu befreien, dem eine völlig neue Sicht auf sein eigenes Leben vorausging.

Oder Juliane Koepke, ein 17 Jahre altes Mädchen mit etwas Dschungelwissen. Der Flugzeugabsturz kann ihr wohl kaum zur Last gelegt werden.
Ihre Geschichte ist vor allem deshalb besonders, weil sie vom Schicksal in ein Abenteuer geworfen wurde, das sie sich nicht gewählt hat.
Juliane wurde geprägt von Ereignissen, die nichts mit einem Sport oder Beruf zu tun hatten. Vor allem aber davon, wie ihre Geschichte und damit ihre Persönlichkeit von den Medien missbraucht wurde.

Steven Callahan, Coach Ek und Harry Brenner oder all die Helden, die noch kommen werden.
Was zeichnet sie aus?
Was ist es, dass sie zu Überlebenden macht?

Kind und Mutter - Foto vom Todesmarsch aus Brünn 1945Sieht man sich die einzelnen Schicksale an, so zeigen sich ein paar Dinge ganz klar.
Ralston war gut trainiert und ausdauernd. Vor allem zeichnete er sich einen grandios starken Willen aus – wenn dieser auch sehr arg auf die Probe gestellt wurde.

Callahan besticht durch sein Improvisationstalent, das er schon zeigte, als er sich sein bewährtes Boot selbst baute. Ansonsten wäre es ihm niemals gelungen mit den wenigen Habseligkeiten die er im Liferaft hatte, eine Harpune zu basteln oder das Loch in seinem Floß doch noch geflickt zu bekommen. Vor allem aber hielt er seinen Verstand beschäftigt – die psychische Tortour einer 76 Tage dauernden Drift über den Ozean in totaler Einsamkeit und lebensfeindlichen Umgebung wäre sonst niemals für ihn auszuhalten gewesen.

Juliane klammerte sich an den einen Leitsatz, den ihr Vater ihr für solche Situationen mitgab.
„Folge dem Wasser und Du wirst unweigerlich Menschen treffen.“
Auch wenn sie am Ende viel Glück hatte, am Ende ihrer Kräfte auf einen Holzfäller-Unterschlupf zu stoßen, man kann sagen, das sie dieses Glück nicht gehabt hätte, wäre sie diesem Rat nicht gefolgt. Das sie zudem schon mit ihren Eltern inmitten des Dschungels gelebt hat, war natürlich mehr als hilfreich.

In der Thamluang Höhle der weinenden Prinzessin lies Coach Ek niemals Panik aufkommen. Die buddhistischen Übungen, die er mit seiner Mannschaft von 12 Kindern in der Tiefe der Höhle praktizierte, trugen ein unglaubliches dazu bei, das Schicksal mit großem Gleichmut zu ertragen.

Und Harry Brenner, der als Kind in den gnadenlosen Vernichtungskrieg geworfen wurde?
Schon als Kind lernte er Schlauheit, Findigkeit, Improvisation und eisernen Willen.

Wille, Aufmerksamkeit, Gelassenheit und Mut. Das sind die Punkte, die hervorstechen.
Genügt das?

Ich glaube nicht. Denn ich an Julianes Stelle, wäre im Dschungel umgekommen, mir hätte die Erfahrung mit Wäldern und den Tieren darin gefehlt. Auch an Aron Ralstons Stelle hätte ich wohl nicht überlebt.
Ich kann mir vorstellen an Callahans Stelle, in der Höhle bei den Kindern oder an Harry Brenners statt gewesen zu sein. Das liegt daran, das ich die See liebe, das ich weiß, wie einsam warten sein kann – oder mir eben vorstellen kann, im Krieg gelebt zu haben, weil ich mit Großeltern und Menschen aufwuchs, die das erlebt haben.

Und das ist der Punkt, auf den es mir ankommt.
Statistisch gesehen, und im Grunde vollkommen logisch, erleiden Menschen Unglück dort oder bei der Tätigkeit, wo oder womit sie die meiste Zeit verbringen. Natürlich ist das nicht immer der Fall, aber die Mehrheit der Fälle bestätigt das.

Das heißt auch, das ein Bergsteiger, der in den Bergen verunglückt, dort verunglückt, wo er ohnehin die meiste Zeit verbringt und auch über Erfahrung mit den dortigen Begebenheiten hat. Juliane lebte in Peru und dort auch mit ihren Eltern in einer Forschungsstation im Dschungel. Callahan war ein Segler und die Menschen in der thailändischen Höhle waren dort faktisch zuhause und die Lebensumstände ebendort haben sie für die Bedingungen, die sie dann vorfanden auch abgehärtet.

Damit will ich keineswegs den Mut und die Zuversicht, die sie aufbringen mussten, schmälern, im Gegenteil.
Es geht darum, darauf hinzuweisen, das sie alle in Situationen steckten, in denen sie auch ihre Erfahrung anwenden konnten. Selbes gilt ja auch für Harry Brenner, der nichts anderes als unsichere Lager und ständige Gefahr des Krieges kannte.

Dies soll zeigen, das es neben dem Mut sich dem Schicksal zu stellen, die Erfahrung eine gewichtige Rolle spielt. Aber das gilt im Umkehrschluss für jeden von uns.

Ein Taxifahrer, der einen Autounfall hat, weiß genau, wie er sich zu verhalten hat. Jeder Mensch weiß über die Umstände in denen er lebt Bescheid. Wenn man einen Dschungelbewohner, der noch nie eine Großstadt erlebt hat, in einer solchen aussetze, wird er wohl kaum begreifen, welche Gefahren ihm im Verkehr drohen. Selbst so profanes wie eine Ampel an einer Kreuzung sagt ihm rein gar nichts.
All seine Erfahrung für das Überleben im Dschungel ist völlig nutzlos für ihn, da hilft auch der größte Mut nichts mehr.

Wenn Du also dort verunglückst, wo Du zuhause bist, wo Du Dich auskennst, haben die genannten Menschen Dir nur noch den Mut voraus, ihr Wissen und Können auch anzuwenden.

Und ich glaube, das wir alle in Notsituationen ganz viel Mut und Zuversicht aufbringen, weil wir wissen, welche Möglichkeiten es gibt, da wieder raus zu kommen. Das also ist die Quintessenz meiner Aussagen und die Antwort auf die Fragen, die ich anfangs stellte:

Bezogen auf die Unglücke und Fähigkeit zu überleben, haben diese Menschen uns nichts voraus.

Sie sind weder große Helden noch besitzen sie unnatürliche Fähigkeiten. Es sind einfach nur normale Menschen.
Das einzige was sie uns tatsächlich voraus haben ist, dass sie überlebt haben und davon berichten können. Und: die Erfahrung die sie dabei gemacht haben.

Was könnte das für Dich heißen?

Bilder einer Blume die aus dem Asphalt wächst - HoffnungEs heißt, das jeder Mensch, also auch Du, über alle Erfahrung und Fähigkeiten verfügt, Dein Leben zu bestimmen, es zu meistern und zu … überleben.
Auch Du kannst dieser Mutige Mensch sein, der im übertragenen Sinne durch einen Kugelhagel rennt, der um sein Leben taucht oder sich durch den Dschungel seines Lebens schlagen kann.

Es gibt keine Helden, sondern nur Menschen, die ihr Bestes geben.

Thomas Speck, 7. Juni 2023

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